Wie sehen Räume ohne Anlass aus? Die Lokremise St.Gallen in der dritten Woche des Lockdowns mit Relikten der letzten Theaterprobe.

 

 

Erzählen und erinnern

Mitte März 2020 erklärt der Bundesrat die ausserordentliche Lage. Veranstaltungen werden verboten, Geschäfte, Restaurants und Kulturbetriebe müssen schliessen. Mario Baronchelli entscheidet sich, den Ausnahmezustand mit der Kamera einzufangen und ein «unaufgeregtes Zeit-Dokument, jenseits von Sensationsbildern und Medienvoyeurismus» zu schaffen.

 

Die Bilder in Mario Baronchellis jüngstem Projekt abgesagt.ch verkörpern das Warten auf einen Neustart, unseren Umgang mit dieser neuen Art von Krise und die damit verbundene Hoffnung. Auch sind sie Ausdruck davon, was Fotografie in seinen Augen generell kann und soll: erzählen, erinnern, festhalten.

 

Den professionellen Zugang zum Fotografieren findet Baronchelli in Etappen und über Umwege. Dabei betritt er immer wieder Neuland. «In der Schule bin aus dem Fotokurs geflogen, weil ich die Bilder unseres Lehrers vergrössert und als Dartscheibe benutzt habe.» Viele Jahre später wird die Digitalkamera treue Begleiterin auf seinen Reisen.

 

Seiner Lehre als Typograf folgt ein Abstecher in die Werbebranche. Mit dem Aufkommen des Internets schlägt er einen ersten beruflichen Richtungswechsel ein: Mario beginnt bei der grössten Schweizer Internetfirma als Coder zu arbeiten, zwei Jahre davon in Hamburg, und gründet als Programmierer schliesslich sein eigenes Unternehmen.

 

«Mit dem Erstellen der Websites kamen immer wieder Anfragen nach Bildmaterial», erzählt er. Mario ist für seine Kunden vermehrt mit der Kamera unterwegs und merkt, dass ihm das zusagt. «Seit meiner Lehre sass ich berufsbedingt jeden Tag acht bis zehn Stunden am Computer. Beim Fotografieren bin ich in Bewegung. Ich komme an die verschiedensten Orte und lerne immer wieder neue und ganz unterschiedliche Menschen kennen.»

 

Gleichzeitig verliert das Programmieren für ihn an Reiz: «Ich hatte keine Lust mehr, Websites zu erstellen, die nur noch am Smartphone angeschaut werden.» Nach fünfzehn Jahren gibt Mario das gut laufende Internet-Geschäft zugunsten der Fotografie auf. Er besucht die Medienschule St.Gallen und absolviert den Studiengang Fotografie am Schweizer Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern – mit über 40 ein weiterer Neuanfang.

 

Eine seiner Diplomarbeiten ist die Fotoserie über analoge Menschen, Menschen ohne Internet. Wenn der direkte Kontakt wieder möglich ist, möchte er die Arbeit an seinem Herzensprojekt fortsetzen. Bis dahin sammelt er Bilder von Räumen ohne Menschen.

 

Das Portrait über Mario Baronchelli entstand im Mai 2020. mariobaronchelli.ch

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